Komplexität des eigenen Denkens

Diese 4 Kompetenz der Spirituellen Intelligenz berührt sehr direkt unseren Alltag und wie wir darin zurecht kommen. Sie berührt z.B. diese Fragen:

  • Wie gut gelingt es Ihnen sich auf unterschiedliche Sichtweisen von Gesprächspartnern einzulassen?
  • Wie gut können Sie mit Konflikten umgehen?
  • Wie gut sind Sie darin Widersprüche auszuhalten? Nicht einfach nur darüber hinweg zu bügeln, sondern in den Widersprüchen eine Kraft zu entdecken?
  • Wie gut können Sie eine Balance finden zwischen Polaritäten? Also zwischen Polen, welche niemals ganz miteinander vereinbar sind?

All das hat mit Kompexität des Denkens zu tun. Und damit mit der Frage, wie weit wir unsere innere Wahrnehmung öffnen können für das, was in uns und um uns herum geschieht.

Innere Weite und Offenheit sind spirituelle Kompetenzen

Um diesen weiten Blick, die Flexibilität in den Perspektiven und das nicht Festhängen an einem Punkt geht es in der Spirituellen Intelligenz. Denn um mit Weisheit und Weitsicht Entscheidungen zu treffen, brauchen wir diese innere Offenheit. Da brauchen wir die Fähigkeit, Dinge aus vielen Blickwinkeln zu betrachten. Da brauchen wir Weitsicht. Da brauchen wir aber auch die Fähigkeit, uns von eigenen Sichtweisen und Überlegungen wieder zu lösen.
All das gehört zu dieser 4. Kompetenz, in der Komplexität des Denkens offen und weit zu werden.

Den Blick zu weiten müssen wir lernen

Wir brauchen diese Fähigkeiten für ein Leben in unserer so diffusen Welt. Aber wir müssen sie auch erlernen. Sie gehören nicht so einfach zu uns. Es ist nicht eine Fähigkeit, die uns ganz natürlicherweise zu eigen ist. In der eigenen Entwicklung erlernen wir anfangs zunächst ein schwarz-weiß Denken: das ist richtig, das ist falsch. So wachsen Kinder auf, das trainiert die Schule. Darin werden wir gefördert zu unterscheiden, was gut und was schlecht ist. Und für eine Gewissensbildung ist dieses fundamental.

Kreisende statt lineare Bewegungen

Doch irgendwann entdecken wir in der eigenen Entwicklung, es gibt nicht nur richtig und falsch, nicht nur schwarz und weiß. Dazwischen gibt es noch viele Grauschattierungen, welche irgendwie in der einen oder auch anderen Situation viel passender wirken. Und schon sind wir in diesen Denkprozessen gelandet, welche viel weniger linear und eindeutig sind. Statt dessen bewegen sie sich eher in kreisenden Bewegungen sich um ein Thema herum und betrachten Dinge aus unterschiedlichen Perspektiven. In und zwischen den verschiedenen Positionen entstehen so neue Denkmöglichkeiten. Willkommen im Lande der Komplexität!

Vielfalt und innere Flexibilität als Chance

Welche kulturhistorischen Leistungen dadurch möglich wurden, haben uns Forschung und Entwicklung gezeigt. Denn aus dem kreisenden Suchen entstand Neues. Doch auch in vielen anderen Lebensbereichen leben wir von einer Vielfalt an Denkmöglichkeiten und der Wahrnehmung von Zusammenhängen und Abhängigkeiten. Als Menschen können wir dieses Geflecht dann wahrnehmen, wenn wir in unserer persönlichen Entwicklung in eine innere Flexibilität hineingefunden haben. Wenn wir für uns entdeckt haben, dass die Verschiedenheit von Sichtweisen vielfach Facetten eines großen Ganzen sind.

Ja, es stimmt, nicht immer gelingt uns das gleich gut. Gelegentlich sind wir selber so unter Druck (und innerer Stress raubt uns oft genug die nötige Flexibilität), dass wir eher einem festen Ast gleichen, der jede Elastizität verloren hat und abbricht, statt sich mit den Bewegungen des Windes an die Umstände anzupassen.

Lösungen jenseits von Entweder-Oder entwickeln (sowohl – als auch)

Wie wesentlich jedoch die Fähigkeit ist, sich nicht zu früh auf eine Position zu versteifen merken wir, wenn wir Kinder in Streitsituationen beobachten. Wie oft finden sie wieder zueinander nach einer kurzen, heftigen Auseinandersetzung, weil eine oder einer einen Kompromiss ins Feld bringt, welcher beiden Seiten es erlaubt, etwas von dem zu bewahren, was wichtig ist. Der Managementberater Steven Covey hat diesen Lösungsansatz einmal die dritte Alternative genannt. Damit meint er nicht die Einigung auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner, einen lauen Kompromiss. Vielmehr hat er Lösungen im Blick, welche für beide Seiten einen Gewinn versprechen: win-win halt. Oder vielleicht sogar win-win-win. Ein Gewinn, der allen Beteiligten etwas möglich macht, was sie alleine nicht auf den Weg gebracht hätten und der über die Anliegen der Personen hinausführt. Wenn solches gelingt, haben Menschen einen weiten Weg in sich zurück gelegt. Denn es heißt ja,

  • Abschied zu nehmen von den eigenen Lieblingsgedanken
  • anzuerkennen, dass die eigene Sichtweise nicht die einzig mögliche ist (der Philosoph Ken Wilber formuliert es so: „Jeder hat recht, aber nur teilweise“.),
  • sich auf die andere Seite einzulassen,
  • zu entdecken, dass auch in der Position des anderen ein sinnhafter Gedanke stecken kann, selbst dann noch, wenn 97% seiner Position uns überhaupt nicht einleuchten.
  • Den Punkt zu finden, bei dem wir einander respektvoll begegnen können und daraus eine Lösung zu entwickeln.

Die spannende Frage: Wie gelingt es uns in eine solche Komplexität des Denkens und diese Flexibilität hineinzukommen?  

Aus dem Entwicklungsmodell von Spiral Dynamics wissen wir, dass mit jeder neuen Stufe der persönlichen Entwicklung neue Ideen und Gedanken hinzukommen, welche für uns selber sinnig und wertvoll erscheinen. Und je mehr eigene Entwicklungsstufen wir durchwandert haben, um so flexibler und beweglicher werden wir selber in unseren Gedanken. Und um so differenzierter nehmen wir Inhalten und Gegebenheiten wahr. Die Komplexität der eigenen Gedanken wahrnehmen ist darum auch ein Ausdruck der inneren Reife und eine Fähigkeit, uns selber in unserem Denken zu beobachten. Die erste Fähigkeit der 21 Kompetenzen: die eigenen Wahrnehmungsperspektiven zu kennen steht darum in direkter Korrelation mit dieser Fähigkeit.

Die Komplexität des Denkens üben

Wir können uns in der Komplexität des Denkens üben. Zwar wird solches auch mit von den Lebensbedingungen beeinflusst, in denen wir sind. Denn jede memetische Stufe, in der wir uns bewegen, ist im Idealfall die bestmögliche Antwort auf die Herausforderungen des Lebens. Und dennoch ist es uns möglich, uns in der Komplexität des Denkens zu schulen und darin zu üben. Diese Flexibilität des Denkens und einen Blick der inneren Weite lässt sich in so vielen Lebenssituationen einüben. Egal ob im privaten oder beruflichen Umfeld – täglich begegnen uns viele Anlässe, unseren Geist darin zu schulen. Die nachfolgende Übung bietet hierzu eine Anregung.

Ich nennen sie gerne die Kissenübung, denn so wie viele Kissen vier Kanten haben, so können wir auch Themen aus vier und mehr Perspektiven betrachten.

Die Kissenübung: Widersprüchen keine einfache Chance geben

Die meisten Kissen haben 4 Seiten. Und darüber hinaus noch eine Vorder- bzw. Rückseite. Um in einer Situation scheinbarer Widersprüche mehr zu entdecken als nur ein Entweder – Oder gibt es die sogenannte Kissenübung. Sie nimmt ein Denken auf, das in der östlichen Philosophie seinen Ursprung hat. Während wir im westlichen Kulturraum in der Regel bei Widersprüchen und Konflikten in Kategorien von Entweder – Oder denken oder eben an eine Dilemmasituation, ist es in der östlichen Philosophie, insbesondere in der indischen Logik, nicht ungewöhnlich, die Wahrnehmungsperspektiven um weitere Positionen zu erweitern. So entstehen 4 und mehr Perspektiven um auf eine Sache zu schauen.

Die Positionen A und B sind sich widersprechende Aussagen oder Sachverhalte zum Thema. Denkbar ist, dass letztlich aber weder A noch B ausschließlich recht hat, sondern in beiden Aussagen ein Teil der Wahrheit steckt (Position C)

Auch denkbar ist, dass weder A noch B Recht haben, womit auch C hinfällig wird. So entsteht Position D.

Eine weitere, fünfte Position entsteht bei der Annahme, dass es eigentlich um etwas geht, was mit der Sache in der Mitte nichts unmittelbar zu tun hat.

 

Wenn Sie wollen, probieren Sie es direkt aus. Erinnern Sie sich an ein Problem, bei dem Sie den Eindruck hatten, da widerspricht sich so vieles. Gehen Sie in Gedanken die einzelnen Schritte durch.

  • Was ist die eine Position?
  • Welches ist die ihr widersprechende Position?
  • Was wäre, wenn in beiden Positionen etwas enthalten wäre, was zutreffend ist? Wie sähe dann eine Lösung aus?
  • Angenommen, weder Position 1 noch 2 treffen zu, welche weitere Möglichkeit würde dem Thema gerecht?
  • Und wenn es gar nicht um das Thema geht, das scheinbar den Konflikt auslöst?

Zu welchem Ergebnis kommen Sie mit diesen Überlegungen?