Keine Ahnung haben wie es weitergeht – wann haben Sie das zuletzt erlebt?
Vor einer Fülle von Möglichkeiten stehen, aber Angst haben, eine falsche Entscheidung zu treffen – aus welchen Situationen kennen Sie das?
Nicht wissen wohin die nächsten Schritte führen – wie fühlt sich das für Sie an? Macht es Sie neugierig oder verunsichert das eher?

Nicht-Wissen wie es weitergehen kann, was gute nächste Schritte sind, sich in der Fülle der Möglichkeiten verlieren – ich kenne viele Menschen, gerade auch junge Menschen, für die das riesige Herausforderungen sind. Wir möchten so gerne Klarheit, sehnen uns nach Verlässlichkeit. Da ist es schwer auszuhalten, wenn wir keine Idee haben, wie es weitergeht.

Mir ist solches vor einiger Zeit wieder passiert. Ein großer Veränderungsprozess, der seit Monaten läuft. Und auf einmal sieht alles danach aus, dass nichts von dem, was wir uns gedacht hatten, wirklich zu einem guten Ende kommt. Wie geht es weiter, fragten einige voller Sorge. Ich konnte nur mit den Schultern zucken – keine Ahnung. Und ich konnte spüren, wie es die Menschen um mich herum verunsicherte, wie Ängste auftauchten, wie sich so langsam die Hoffnungslosigkeit ausbreitete.

Den Raum des Nicht-Wissens aushalten

Viele tun sich schwer damit das Nicht-Wissen auszuhalten. Manchmal frage ich mich, woher das kommt.

  • Hat es was damit zu tun, dass wir als Schüler immer dazu angehalten werden, auf Fragen Antworten zu geben? Dass wir also „getrimmt“ werden, bloß nicht unwissend da zu stehen?
  • Hat es damit zu tun, dass wir eben lieber den Spatz in der Hand halten als die Taube auf dem Dach sehen, uns also nach Sicherheit sehnen?
  • Hat es damit zu tun, dass das Nicht-Wissen uns zwingt, Vertrauen zu wagen in etwas, was wir noch nicht klar fassen können?

In meiner Arbeit mit großen Veränderungsprozessen erlebe ich immer wieder den Wahrheitsgehalt einer Aussage der Schriftstellerin Marilyn Ferguson:  „Es ist nicht so, dass wir uns insbesondere vor der Veränderung fürchten oder wir das, was war, so lieben, doch es ist der Raum zwischen dem Alten und dem Neuen, der uns Angst macht.“

Zwischen dem Alten und dem Neuen fühlt es sich instabil an.

Der Raum zwischen dem Alten und dem Neuen fühlt sich instabil an. Da gelten manche Sicherheiten nicht mehr. Er gleicht der Balance über einen Balken im Nebel, der unsere ganze Aufmerksamkeit erfordert. Und wenn dann noch Seitenwind weht oder andere an uns zerren, dann wird es noch schwieriger, sich nicht verunsichern zu lassen.

Dee Hock, der Begründer der Visa-Karte, hat für diesen Raum des Nicht-Wissens den Begriff chaordischer Raum geprägt. Mit diesem Kunstwort brachte er zum Ausdruck, dass es ein schmaler Grat ist zwischen Chaos und Ordnung.

 In diesem Raum sind die Dinge nicht starr und straff, sondern verlangen eine ständige Anpassung und Flexibilität. Da entstehen immer wieder neue Impulse, da zeigen sich neue Beziehungen, da tauchen wie aus dem Nichts neue Formen der Ordnung auf. Ordnung und Chaos leben sozusagen in einer perfekten Symbiose und ermöglichen eine Weiterentwicklung. Ein Prinzip, das wie eine Grundregel der Natur gelten kann, das Teil eines organischen Wachstums ist.

Die Bedeutung des Nicht-Wissens in einer VUCA* Welt

In einer Zeit, die durch Unsicherheit und Instabilität geprägt ist, tauchen immer öfter solche unerwarteten Situationen auf. Es ist, als ob wir in immer kürzeren zeitlichen Abständen durch die Ereignisse im Außen in einen chaordischen Raum gestoßen werden und die Gesetze, die bislang galten, nicht mehr Gültigkeit haben. Um dem zu begegnen und uns nicht in unserer Handlungsfähigkeit lähmen zu lassen, brauchen wir einen gelassenen Umgang mit dem Instabilen, dem sich Verändernden, dem nicht Kontrollierbaren. Solange das Unerwartete uns erschreckt, löst es physische Reaktionen in unserem Körper aus, welche uns einschränken und uns daran hindern, unser kreatives Potential zu nutzen.

Das Nicht-Wissen aushalten ist also im Grunde eine kräfteschonende Haltung und fördert unsere Resilienz. Es ist ferner eine der Natur entsprechende Haltung. Und es ist die Chance, das Neue als in die Zukunft führend wahrzunehmen. Im Idealfall führt es in einen Flow des Gestaltens. Das Gute und Schöne: weil es Teil eines natürlichen Entwicklungsprozesses ist, ist es uns nicht ganz fremd. Wir können die Zugänge dafür in uns beleben. Aber wir müssen sie in uns beleben und uns darin üben, denn meistens haben wir solches im Prozess des Erwachsen-Werdens verlernt.

Lernen, sich entspannt im Raum des Nicht-Wissens zu bewegen ist Teil der Spirituellen Intelligenz

Im Rahmen eines Handelns aus Spirituellen Intelligenz unterstützen unterschiedliche Kompetenzen diese Fähigkeit. Da heißt es mal, dem Höheren Selbst die Führung zu überlassen (die 13. Kompetenz) und eben nicht aus einer undefinierten Angst, keine Lösung zu kennen, vorschnell irgendwas zu tun. Da heißt es ein anderes Mal, mit dem Fluss der Bewegung zu fließen (21. Kompetenz) und den rechten Zeitpunkt abzuwarten, wann ein Handeln angemessen und hilfreich ist. Und dann wieder geht es schlicht um das Eingeständnis (was ja oft schwierig genug ist), dass all unser Denken und Wahrnehmen nur sehr vorläufig ist und wir niemals alles überschauen (9. Kompetenz).

 

Was wir brauchen, um dieses auszuhalten? Die Grundhaltung des Growth Mindset. Einer Haltung also, welche in Betracht zieht, dass Dinge sich verändern können und nicht alles statisch festgelegt ist.

Es befähigt uns, im Geiste flexibel zu sein und uns von den neuen, sich entwickelnden Möglichkeiten überraschen zu lassen. Und sich überraschen lassen können ist eine wesentliche Grundkompetenz des kreativen, schöpferischen Geistes.

Wie uns dem Nicht-Wissen aber praktisch annähern und einüben?

Um uns im Nicht-Wissen zu üben, können wir auf verschiedenen Ebenen an und mit uns arbeiten. Entsprechend des integralen Ansatzes der verschiedenen Quadranten sind wir insbesondere im individuell inneren Bereich und dem individuell äußeren Bereich gefordert.

Im Rahmen der inneren individuellen Arbeit können wir solche Fragen stellen:

  • Welche Bedeutung gebe ich dem Nicht-Wissen bei mir und anderen? Hat es was mit Versagen oder mit Stärke zu tun?
  • Welche Stimmen tauchen in meinem Kopf auf? Stimmen des Zweifels und des Urteilens, des Zynismus oder der Angst?
  • Welche Erfahrungen habe ich in der Vergangenheit in solchen Situationen gemacht? Auf welche guten Erfahrungsschätze kann ich zurückgreifen?
  • Was brauche ich, um ein tiefes Vertrauen zu entwickeln, zu mir selbst und zu der Situation?

Als Übung: Sich stabil an einen ruhigen Ort hinstellen, einen Moment in den Körper vom Gefühl her eintauchen und dann den Körper die Bewegungen machen lassen, die er machen möchte. Das Äußere folgt dem inneren Impuls. Lassen Sie einfach geschehen.

Im Rahmen der individuell äußeren Perspektive könnten solche Themen von Interesse sein:

  • Sich selbst beobachten: welche Signale sendet mir mein Körper aus, wenn ich in solchen Situationen bin? Fühle ich mich entspannt und gelöst, oder verspannen sich meine Muskeln, wird die Atmung schneller, verändert sich der Herzschlag?
  • Übungen, welche dazu beitragen, sich auf den Moment zu fokussieren, auf das, was gerade geschieht. Hierzu können Achtsamkeitsübungen gehören, Yoga als ein Beispiel für körperliche Arbeit, oder auch meditative Atemübungen.
  • Sich in einem See, dem Meer oder einen Fluss (sofern Sie gerne schwimmen) flach aufs Wasser legen und sich einfach tragen lassen, hierbei den Bewegungen des Wassers Aufmerksamkeit schenken und den Moment genießen. (Trauen Sie sich dem Wasser zu vertrauen?)

All die Körperübungen dienen dazu, sich nicht in den Gedanken und Plänen der Zukunft oder Vergangenheit zu verhaken, sondern bewusst im Hier und Jetzt anzukommen. Es öffnet den Raum für das, was gerade dran ist. Und die Arbeit mit dem Körper stärkt unsere Sensibilität für die Signale, die dieser aussendet.

Sich im Nicht-Wissen sicher zu bewegen hat viel damit zu tun, die Signale des eigenen Körpers als erweiterte Informationsquelle lesen und nutzen zu können.

Warum, mögen Sie fragen?

Unser Verstand befindet sich oft genug im Zustand des Nicht-Wissens oder verliert sich in Gedanken, die wenig mit der Gegenwart zu tun haben. Unser Körper aber spricht die Sprache der Gegenwart. Und oft genug weiß er, was für das System gut ist, lange bevor unser Verstand es formulieren kann. So wird es möglich, stimmige Impulse aufzunehmen und Wege in die Zukunft zu gestalten.

 

Dieser Artikel erschien in leicht veränderter Form zu einem früheren Zeitpunkt im Blog von Social Architect.

 

* Der Begriff VUCA steht für volatil, unsicher, komplex und Ambiguität. Mehr hierzu findet sich bei den AV-Materialen zur Social Architect Ausbildung.